Donnerstag, 20. Januar 2011

Knast oder Anstalt?

Im August 2010 hatte Till T. seine fünf Minuten Berühmtheit. Er war „der Kinderhasser vom Grüneburgpark“. Fast täglich fanden sich im Lokalteil von Deutschlands größtem Boulevardblatt Artikel über ihn, auch mit Foto. Sie zeigten einen wilden Mann mit wirrem Haar und langem Bart. Wildfremde Menschen sprachen ihn an, beschimpften ihn, drohten ihm. Er war der Stadtfeind Nummer Eins. Ein paar Tage ließ man ihn noch herumlaufen, dann sperrte die Staatsmacht ihn ein. Erst in die U-Haft, dann in die Psychiatrie. Seit gestern steht der Kinderhasser vor dem Landgericht. Der 29-Jährige ist kein freundlicher Zeitgenosse. Er hat Kinder umgerempelt und bedroht, immer wieder. Er hat einem Dreijährigen dermaßen gegen das Schienbein getreten, dass der umfiel. Er ließ fußballspielenden Kindern mit einem Messer die Luft aus dem Ball und bedrohte sie anschließend. Er beschimpfte die Kinder als „unnütze Bälger“, ihre Eltern als „nichtsnutzige Zivis“. Es gehört wenig dazu, zu erkennen, dass Till T. unter dem leidet, was der Volksmund eine Vollmeise nennt. Till T. ist kein Angeklagter. Niemand geht davon aus, dass er schuldfähig ist. Außer Till T. Der weiß, dass es in diesem Sicherungsverfahren für ihn ums Ganze geht: um die dauerhafte Unterbringung in der Psychiatrie in Haina, die er so hasst, wo er nicht sein möchte und was er unter allen Umständen verhindern will. Weil man ihn dort mit Medikamenten vollpumpe, die er nicht brauche. „Ich handele im Interesse des Staates“, ruft er überzeugt aus, und jeder dieser Sätze bringt ihn der Anstalt näher. Das ist Till T. egal. Er ist Einzelkämpfer. Er ist gewohnt, seinen Weg, den niemand versteht, gegen alles und alle zu verteidigen. Das Publikum im Gerichtssaal hasst ihn. Feixend klopfen sich die Zuschauer auf die Schenkel, wennTill T. versucht, sein Gesicht vor den Kameras zu verbergen. „Kamera läuft“ und „Knips ihn ab“ rufen und johlen sie vor der Verhandlung, noch ist auch kein Richter da. Sie hassen den „Kinderhasser“ und er hasst sie, „die Gammler“, wie er sie nennt. Gammler sind etwa die Investment-Bankerin und der Fernsehredakteur, die als Zeugen aussagen. Gammler ist sein Anwalt, denn Till T. nicht haben will und dessen Sitzhaltung ihm nicht passt. Er selbst habe „keine Zimperlieschen-Erziehung“ genossen. Er wollte Soldat werden, aber die Bundeswehr wollte ihn nicht. „Ich habe noch nie das gekriegt, was ich wollte.“ „Ein Kasernen-Leben“, das wäre das Rechte für ihn gewesen, sagt er: „Morgens wird man angebrüllt, man kann Panzer fahren, um die Kaserne ist Stacheldraht, damit keine Kinder reinkommen.“ Die ganze Welt ist Till T.´s Feind. Till T. legt es als Schwäche aus, einem anderen Menschen auch nur auszuweichen. Er ist kein typischer Tippelbruder. Er hält sich fit durch Sport, ernährt sich gesund, sein Haar ist lang, aber gepflegt. Mehrfach kämmt er während der Verhandlung seinen Bart. Sein reicher Wortschatz und sein freier Redefluss verraten, dass hier kein Dummkopf sitzt. Er redet wirres Zeug, dem aber eine seltsame Logik innewohnt. Frankfurt aber liebt er. Seine Mutter habe ihn in jungen Jahren „nach Marburg verschleppt“. Ihm war immer klar, dass er zurückkehren wolle. Obwohl sich Frankfurt in den vergangenen Jahren nicht zum Vorteil entwickelt habe: „Seit das Militär weg ist, ist das hier ein lascher Haufen geworden.“ Als der Richter sagt, Till T. habe keinen festen Wohnsitz, widerspricht der: „Das stimmt nicht. Frankfurt! Frankfurt ist meine Heimat.“ Und der Grüneburgpark sein Kiez, seine Spielwiese, seine Kaserne. „Ich weiß, dass ich manchmal wie die Axt im Wald bin“, sagt Till T. und genau das ist das Problem. Er wird als Bedrohung gesehen. Als seine Mutter, jene Frau die ihn als Kind „von Frankfurt nach Marburg verschleppt“ hat, ihn in einer Verhandlungspause anspricht, sagt Till T.: „Ich kenne Sie nicht. Warum sprechen Sie mich an?“ Die Verhandlung wird fortgesetzt.

20.01.2011



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